Rupp un Runner auf dem Bodden - Mein Sommer mit der Jolle

Das Vereinsmitglied Heiner Junghans hat einen spannenden Törn in den Bodden-Gewässern unternommen - mit einer Jolle. Für seine sportliche Leistung hat Heiner den von Rudolf gestalteten Vereinspokal die "goldene Windrose" am Rande der Regatta Rup un Runner überreicht bekommen. Außergewöhnliche Leistungen unserer Vereinsmitgliedern werden durch diese Auszeichnung gewürdigt.

Als völliger Laie und begeisterter Segelschüler stelle ich staunend auf dem Schiedersee fest, dass man sich einerseits vom Wind den See hinaufblasen lassen und andererseits (und das ist für mich als Segeldebütant besonders faszinierend) wieder zum Anleger an der Staumauer zurückkehren kann. Auch wenn ich die Reihenfolge von Segel hissen, Schwert ausklappen, Lenzer öffnen immer wieder gern durcheinanderbringe und auch mal ganz ohne eingeschäkelte Großschot starte, träume ich prompt von der romantischen Weltumsegelung. Genauso blauäugig kaufe ich im Winter günstig eine winzige Jolle mit Kajüte, in die ich und ein gelenkiger Schlangenmensch bei geschickter Einfädelei hineinpassen würden. Ich bin erleichtert, als mir viele hilfsbereite Segelfreunde im Verein die Vollständigkeit der kleinen Gade Lis bestätigen; ein Glücksgriff, denn bei all den verknäulten Wanten und porösen Leinen blicke ich erst viel später durch.

Zur Beruhigung putze ich einfach erst mal, lenke mein Boot mit Puls 180 die ersten Meter über unseren Stausee und bin erstaunt, wie unkompliziert es sich ein paar Wochen später auf einem Anhänger die 400 Kilometer nach Ribnitz-Damgarten ziehen lässt. Außer einem Schäkel für die Want geht nichts verloren und kaum sind wir am westlichsten Hafen des geschützten Ostseeboddens angelangt, werden wir von der freundlichen Seglergemeinde aufgenommen. Ein Familienvater beäugt interessiert die kleine Nussschale auf dem Trailer und fragt, ob wir da zu zweit drauf fahren wollen. Ja klar! Nun kneift er die Augen zusammen und erzählt uns, dass er eine Woche mit seinem doppelt so großen Boot im Hafen „abgewettert hat“, die Wellen auf dem Bodden 1,50 Meter hoch waren und wir besser nichts mitnehmen sollten um Platz und Gewicht zu sparen. Lieber erst mal in Ribnitz bleiben und ein paar Probeschläge fahren, empfiehlt er uns. Halleluja, wir sind in unserem Leben keine 10 Seemeilen ohne Segellehrer gefahren und die Ratschläge lassen mein seemännisches Selbstvertrauen welken wie eine Zimmerpflanze in frostiger Nacht. Egal, wir dürfen die Sliprampe gratis benutzen, kein Hafenmeister weit und breit, den wir wegen einer Übernachtung fragen könnten und so takeln wir auf und machen einen Kurztrip zu Fuß durch die hübsche kleine Stadt in Mecklenburg um einen Plan zu fassen. Es ist erst 16 Uhr, 1,50 Meter hohe Wellen sind nicht zu sehen und der nächste Hafen in Althagen müsste eigentlich in Sichtweite sein. Wir lassen Auto und Trailer neben einer wenig vertrauenswürdigen Halle am Hafen zurück und schließen die Batterie an den Elektromotor an, der uns die 30 Meter aus dem Hafenbecken in den grünen Bodden schiebt - unser Revier für die nächsten knapp drei Wochen.

Nicht mal zwei Stunden später sind wir in einer anderen Welt. Orte wie Althagen sehen wir nun öfter: Uns empfängt ein winziger Hafen, in dem fünf Gastlieger wie wir sind und ein paar wunderschöne historische Zeesenboote. Hölzerne Schmuckstücke deren Lack in der Abendsonne glänzt, mit dunkelbraunen Segeln. Die Fischer fuhren fast ohne Tiefgang damit Jahrhunderte auf das fischreiche Binnengewässer. Kurz nach unserer Ankunft gleitet eines dieser Boote unter Segeln lautlos in den Hafen zurück. An Bord ein paar Touristen und nachdem die baumwollenen Segel mit leisem Rauschen geborgen wurden, wird sogar applaudiert. Selbst von außen beobachtet ein faszinierender Augenblick, wie dieses stille Gefährt völlig unabhängig von Strom oder Treibstoff ans Ziel kommt. Heute bin ich ohnehin sehr aufgeschlossen, denn die erste Fahrt lief wie am Schnürchen: fast fünf Seemeilen in der Abendsonne zurückgelegt, Anlegen ohne Kollision und ein idyllisches Plätzchen das alles bietet, was man zur Feier eines solchen Einstandes braucht: Eine Räucherbude mit frischem Fisch, ein gemütliches Restaurant, ein Dusch- und Toilettenhäuschen und ein Bäcker im Dorf, der uns morgens frischen Kaffee und was Leckeres zum Frühstück beschert. So geht es übrigens weiter: Kaffee gibt es fast jeden Tag, fast nie müssen wir auf den Luxus von frischen Brötchen verzichten und ich habe noch nie soviel fangfrisch geräucherten Fisch gegessen wie in diesem Urlaub.

In den folgenden Tagen hangeln wir uns an der Innenseite der Ostseeküste entlang. Wiek, Zingst, Hiddensee, Rügen. Wir segeln, halten an einer Drehbrücke und in kleinen Örtchen. Leihen uns Fahrräder aus, wenn der Rücken anfängt weh zu tun, spazieren nicht selten nur 10 Minuten von unserem Anleger hinüber an die offene Ostsee, denn der Landstrich zwischen unserem Brack- und dem gegenüberliegenden Salzwasser ist schmal. Man lässt sich hier gern verführen von den Annehmlichkeiten der Urlaubsorte. Es gibt duftende Waffeln, Schnitzel und Kuchen, Kaffees und kühlen Weißwein. Wer hätte gedacht, dass Urlaub in Deutschland so lieblich sein kann. Da unsere Jolle mit aufgeholtem Schwert so wenig Tiefgang hat, empfiehlt uns ein Fischer den mühsamen Umweg im tieferen Fahrwasser zu verlassen und durch die Schilfinseln abzukürzen. Wir sind skeptisch als wir uns aus der lockeren Reihe der anderen Boote lösen und den schmalen unbewachsenen Durchgang einer Bülte ansteuern. Aber nach ein paar Tagen Fahrt sind wir mutiger und falls wir auf sandigen Grund laufen sollten, so müssen wir eben aussteigen und schieben, erläutert uns trocken der Fischer. Dieser Pragmatismus gefällt mir und wir kommen nicht nur wieselflink durch die Schilfinselchen hindurch, sondern darüber hinaus bestaunen wir, wie so oft, eine fast unberührte Natur in mitten von Vögeln, Fischen und Mücken.

Schon vier Tage später erreichen wir Stralsund und durchkreuzen nicht mehr das fischreiche grüntrübe Boddenwasser. Die Ostsee spült glasklares Wasser an Hiddensee vorbei und in einer Flaute baumeln meine Füße im Wasser, ich bestaune phlegmatische Quallen und linse durch eine schmale Öffnung des Schwertkastens in das türkis-leuchtende Salzwasser unter unserem Kiel. Stralsund ist eine Reise wert. Die beiden Meereskundemuseen im Ozeaneum und einer ehemaligen Kirche beeindrucken mich. Von gestrandeten Walen über Fischfang in der DDR bis zum Müllproblem in den Weltmeeren erfährt man hier eine Menge und in mitten dieser maritimen Umgebung fühle ich mich beinahe wie ein echter Seebär.

Meine Freundin verlässt mich nach einer Woche und fährt nach Hause. Ich mache mich einhand auf die Weitereise und muss sagen: die Überwindung abzulegen und gar keinen Austausch zu haben zu Themen wie „Sollen wir jetzt wenden?“ oder „Ist es hier tief genug?“ oder „Kannst du mal die Fock einrollen?“ ist erst mal ziemlich beunruhigend. Aber es nützt ja nichts und man profitiert enorm davon, auf sich allein gestellt zu sein. Ich habe richtig guten Wind, krame sogar eine Trapezhose heraus und versuche mein Glück, das Bötchen aufrecht und schnell zu segeln: Ein Zentimeter an der Pinne gezogen, ein Stück weiter nach außen gelehnt oder nur mit dem Körpergewicht zu steuern: Ich bekomme eine Ahnung wie sensibel so ein Schiffchen reagieren kann. Statt vom leckeren Abendessen träumen oder über teilnahmslose Quallen plaudern zu können, habe ich heute richtig viel übers Segeln gelernt. Ich bekomme noch zweimal Besuch für ein paar Tage von Freunden. Wir schaffen es nach etwa hundert Kilometern bis an das östlichste Ende des Boddens in Ralswiek. Die Rückfahrt in Richtung Bootsanhäger geht so zügig, dass ich zwei Tage Sturm auf Hiddensee gut und gern abwarten kann und mich in das nächste Fleckchen Erde verliebe: Hier gibt es keine Autos, dafür Unmengen an Fahrradverleihen, netten Menschen, prima Badestellen an der Ostsee und postkartenmäßigen Ausblicken.

Weil mir vom langen Sitzen auf dem Boot nach drei Tagen der Rücken weh tut, gehe ich joggen und bekomme am Ostseestrand ein frisch gefangenes und auf dem Gaskocher gebratenes Dorschfilet geschenkt. Hier liegen etliche Segel- und Motorboote vor Anker. Drei Jollen meiner Größe wurden auf den Sandstrand gezogen, die Leute sitzen dazwischen auf Liegestühlen, trinken Wein und grillen Fisch. Zwei Tage hätte ich auch noch Zeit und ich frage mich, warum ich mich nicht zwischen Hiddensee und Dranske hindurch quetsche und so einen paradiesischen Schlafplatz, völlig unkompliziert - am Strand ansteuere! Am nächsten Tag fahre ich einhand im Zickzack gegen den Wind das schmale Fahrwasser entlang, versuche Fähren und andere Fahrgastschiffe im Slalom zu passieren. Mein Elektromotor verbraucht so viel Strom aus der kleinen Batterie, dass ich höchstens einen Kilometer damit voran komme und den Saft brauche ich
für knifflige Anlegemanöver in Boxen. Also muss ich aufkreuzen unter Segeln und auch wenn ich nicht mehr in Panik ausbreche, wenn die Lis mal wieder im Sand feststeckt, so ist der Wind heute so stark, der Durchgang zur Ostsee so schmal, dass ich wieder zweimal festsitze, das Boot sich dann auf dem Schwert irgendwohin um sich selber dreht, mein Herz klopft und die Wassertaxifahrer hupen. Das ist mir allein bei diesem Wind zu ungeheuer. Ich kehre um und verzichte auf das I-Tüpfelchen. Das echte Ostseewasser muss bis zur nächsten Reise auf mich warten.

Als nach 168 Seemeilen und fast drei Wochen der Trailer noch genau an derselben Stelle in RibnitzDamgarten steht, Boot sowie Mast ohne Unfall abgetakelt sind und alles festgeschnallt hinter dem Auto her rollt, bin ich sehr froh, ein Stückchen segelerfahrener, von der Sonne braun und wirklich neugierig, wie es mit der Bootsfahrerei wohl weitergeht.